Elena Filatova - Tschernobyl Journal Nr. 5 Mar/Apr 2011
FUKUSHIMA



Sehen wir den Tatsachen ins Auge; durch den Informationsmangel der japanischen Behörden und so viele Dinge, die hinter den Kulissen stattfinden sind wir wie die Gefangenen in Platos Höhlengleichnis, die nur die Schatten der Bilder sehen können, die die Realität an die Wand wirft. Diese Ausgabe zu verfassen, ist wie das Zusammensetzen eines Puzzles. Ein Puzzle, in dem viele Teile fehlen, denn das Desaster ist immer noch nicht vollständig. Vielleicht sind diese Notizen genauso chaotisch, wie die Tage, in denen sie entstanden sind.
Als ich die Explosionen an dem Atomkraftwerk in Japan sah, war mir sofort klar, dass es sich um eine große Katastrophe handelt und dass Informationen in unvorstellbarem Maße zurückgehalten werden. Ein Vorfall dieser Größenordnung muss bedeuten, dass wir uns von der Atomkraft abwenden und uns den erneuerbaren und nachhaltigen Energien zuwenden sollten. Aber wieder einmal wird uns die Wahrheit gestohlen. Wie viele Quadratkilometer unbewohnbaren Landes, wie viele Krebsfälle und wie viele Tote braucht es denn noch, um zu realisieren, dass dieses nicht der beste Weg der Energiegewinnung ist?
Ein Vergleich mit Tschernobyl ist nicht leicht, da dieses ein Desaster mit ganz anderen Eigenschaften ist. In Tschernobyl gab es eine einzige große Explosion, die radioaktives Material weit verteilte, die aber gleichzeitig auch die Möglichkeit weitergehender Strahlungsemission durch fortdauernde Kernspaltung wirksam beendete. Wir können sagen, dass in Tschernobyl mit der Explosion des Reaktors der schlimmste Punkt der Krise schon erreicht war. Radioaktiver Müll ist in der ganzen Gegend verteilt worden, die Kernspaltung wurde sofort beendet und nach zwei Wochen gab es weder Feuer noch Rauch. Die ersten Wochen waren ein Albtraum, aber danach ging es langsam besser. Nachdem der Reaktor umschlossen worden war, zeigte sich keine signifikante Freisetzung von Radioaktivität. In Fukushima gibt es hingegen sechs strahlende Reaktordruckbehälter und viele Tonnen heißer, verbrauchter Brennstäbe, die möglicherweise noch monatelang weiter heiß bleiben und gefährliche Mengen radioaktiver Isotope in die Landschaft schleudern. Es ist gut möglich, dass in der Hälfte der zerstörten Reaktoren eine Kernschmelze stattfindet. Die Menge der von den betroffenen Reaktoren freigesetzten Strahlung kann bereits jetzt mit Tschernobyl verglichen werden und hat das Potential zukünftig noch viel schlimmer als Tschernobyl zu werden.
Obwohl die von der betroffenen Firma und von der Regierung gesteuerten Medien die astronomischen Strahlungswerte in Fukushima ignorieren, können wir trotzdem sogar in den offiziellen Berichten interessante Informationshäppchen finden... wie etwa vor ein paar Tagen dieses hier: "Strahlung beträgt das 1.600-Fache des Normalwertes in 19,3 Kilometer Entfernung vom Fukushima Kraftwerk." (IAEA Bericht- Kyodo News). Nun ja, hinter diesen neunzehn Kilometern beginnt eine sichere Zone und der Strahlungspegel beträgt 160 Milliröntgen pro Stunde! Den Leuten an solchen Orten wird geraten, drinnen zu bleiben. Ich wünsche mir, dass die Behörden diese Leute retten würden, aber stattdessen rettet die japanische Regierung nur die Märkte.

März, 2011
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Sehen Sie Sich das Foto von Reaktor #3 an. Er ist zerstört, es sieht aus -nur Schutt- als ob eine Bombe eingeschlagen wäre und was sagen die Behörden? Zwei Wochen nach der Explosion behaupten sie immer noch, dass der Reaktordruckbehälter nicht beschädigt worden ist. Es ist komisch, dass die Behörden denken, sie können mit Worten übertönen, was die Augen sehen.
Man sagt, dass auch ein düsterer Horizont einen Silberstreifen hat. Allerdings ist wohl der Horizont der Massenmedien von der Wolke eines Atompilzes zerstörter Reaktoren verdunkelt. Sie redeten von Stromkabeln und ihrer wichtigen Rolle. Die Bevölkerung wurde mit Meldungen über das Verlegen von Leitungen gefüttert, aber was nützt ein Stromkabel an einem zerstörten Reaktor? Es ist in etwas dasselbe, wie ein Auto mit geladener Batterie, dessen Kolben mit Seewasser verstopft sind und an dem die Elektronik nicht nur verbrannt, sondern ebenfalls patschnass ist. Dazu kommt noch, dass der Motor explodiert ist, die Hälfte davon fehlt und man schließlich möglicherweise stirbt, sollte man länger als drei Minuten am Motor arbeiten...
All denen, die sich um die Stromversorgung der zerstörten Reaktoren sorgen, möchte ich mit Chamforts Sprichwort sagen: "Bevor man Rüschen an die Hemdsärmel nähen kann, muss man erst einmal ein Hemd haben" ("Before adding ruffs to shirt sleeves, you must first have a shirt.")

März, 2011
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Zweieinhalb Wochen nach dem Unglück erzählen uns die Nachrichtensprecher, dass Plutonium außerhalb des Atomkraftwerkes gefunden wurde. Wirklich interessant ist, dass alle drei Plutoniumisotope 238, 239 und 240 am selben Tag entdeckt wurden. Ich sollte vielleicht besser sagen 'aufgedeckt', weil alle Elemente von Anfang an da waren und sie es gewusst haben. Aber die Informationen werden uns halt nur in kleinen homöopathischen Dosen verabreicht.
Zuerst erzählen sie uns von Jod-131, als ob keine anderen Elemente freigesetzt wurden, dabei wird immer erwähnt, dass Jod-131 eine Halbwertszeit von nur acht Tagen besitzt. Das tun sie, um etwas Zeit zu gewinnen, denn die Allgemeinheit denkt, dass die Halbwertszeit die Zeit ist, die ein chemisches Element benötigt, um ganz zu verschwinden. Als nächstes werden uns Cäsium, Ruthenium und Strontium vorgestellt, alle in einer Reihe, wie bei einer Parade, mit Plutonium an deren Ende. Der Ehrenplatz dieser Isotopenparade ist fest für einen König reserviert. Die Halbwertszeit von Plutonium-239 ist länger als 24.000 Jahre. Leider wird diese Information erst öffentlich gemacht, wenn die Geschichte nicht mehr in den aktuellen Nachrichten ist.

Aus einem Interview mit der Zeitung "IT-TORCA" (Malta)

Fragen an Elena: Wie ist deine Meinung, wie vergleichst Du die Tschernobyl - Katastrophe mit Fukushima? Denkst Du, dass Fukushima noch ernster ist?

Tschernobyl mit Fukushima zu vergleichen ist, als ob man ein Gangrän mit Krebs vergleicht. Für uns ist Tschernobyl wie ein abgetrenntes Glied. Ukrainer, Weißrussen und Russen besitzen große Territorien und haben sich aus Tschernobyl zurückgezogen, aber Japan scheint zusammen mit einem Tiger in einen Käfig geperrt worden zu sein. Sie sind komplett vom Meer umgeben. Sie können nirgendwo hin... Fukushima trifft mehr Leute, es ist wie Krebs. Ich kann die großen Flecken metastasierender Fäulnis schon sehen, die die japanischen Beamten fleißig reinzuwaschen versuchen.
Die Parallelen zwischen Japans Bürokraten und denen der Sowjetunion sind offensichtlich. Ich denke aber, es ist schlimmer. Die Japaner scheinen ein fast schon genetisch eingepflanztes Verlangen zu haben, unterwürfig an der Bürokratie festzuhalten. Dieses Verlangen der japanischen Bevölkerung scheint stärker zu sein, als der Selbsterhaltungstrieb. Sie verehren Ihre Obrigkeiten, ganz egal, wie unsicher die Aktionen der Verantwortlichen waren.
Es tut mir sehr Leid, das zu sagen, aber in ein paar wenigen kurzen Jahren wird sich Japan, das für Langlebigkeit bekannt ist, in eine kranke Nation mit vielen Geburtsfehlern, vielen Krüppeln und vielen Begräbnissen wandeln.
Zum Wohle der Börse verheimlichen japanische Beamte die Wahrheit und verwahren Teile der Bevölkerung in deren verstrahlten Wohnungen und Häusern. Nun, ich bezweifle, dass sie die TEPCO-Aktien retten können und ich weiß nicht, wie es um die Elektronik-Konzerne steht, aber ich weiß ganz sicher, dass es den Pharmakonzernen im zukünftigen Japan hervorragend gehen wird.

Wie sehen jetzt -25 Jahre später- die Auswirkungen der Katastrophe aus?

Wir reden über die Auswirkungen von Tschernobyl in großem Maßstab, also sollten wir einen Blick auf die Statistik werfen. 1986 lebten in der Ukraine 52 Millionen Menschen, jetzt -25 Jahre später- sind es weniger als 46 Millionen.
In einem kleineren Maßstab kann ich sagen, dass drei Mitglieder meiner Familie an Krebs und Leukämie gestorben sind. Unsere Familie lebt 130 km vom Reaktor entfernt. Auch in den Familien von Freunden und Nachbarn hat es viele Krebstote gegeben, aber wir haben keine wirkliche Statistik. Jegliche offizielle Statistik stammt von Seiten der Atomindustrie und kann nicht ernst genommen werden.

Welchen Schwierigkeiten stehen diejenigen heutzutage gegenüber, die in der Region um Tschernobyl leben? (Ich meine ist es ihnen möglich Ackerbau zu betreiben, haben sie genug zu Essen, gibt es Arbeitsplätze...)

Wer abseits der Hauptstraße lebt, hat keinen Strom. Sie pflanzen ein wenig Gemüse für den Eigenbedarf an. Die Geschäfte haben sich aus dem verseuchten Gebiet zurückgezogen. Investoren rennen vor der Strahlung davon. Jeder Versuch, Projekte in das Gebiet zu ziehen, scheitert.
Trotzdem kann die Regierung eine schöne Show bieten. Beispielsweise gibt es an der Straße zwischen Kiew und Tschernobyl, also die Straße, auf der die offiziellen Delegationen reisen, Extra-Prämien für Leute, deren Häuser an dieser Straße liegen. Also bleiben dort Dutzende von Familien wohnen. Die Regierung versorgt sie mit Strom. Das beeindruckt Reisende und läßt sie glauben, dass das Dorf lebendig und das Leben normal ist, aber wenn man um die Ecke schaut, sieht man totale Verwüstung. Um die Frage nach Arbeit zu beantworten... Nun ja in der ganzen Region um Tschernobyl ist es das, was man am ehesten so nennen könnte. Die Mission dieser Leute ist, eine normale Fassade für Tschernobyl zu bieten, eine "façade de Tshernobyl".

Was für eine Botschaft hast Du heutzutage bezüglich dieser Tragödie?

Am Beispiel Fukushima haben wir alle gesehen, wie schnell Reaktoren aus dem Ruder laufen, wenn das Kühlungssystem unterbrochen wird, dann folgt eine Wasserstoffexplosion und das Land um den Reaktor ist für Jahrhunderte verseucht. (In Tschernobyl gab es dieselbe Art Explosion wie in Fukushima.) Jetzt können wir uns in etwa vorstellen, was für eine Situation entsteht, wenn ein Reaktor bombardiert wird.
Wir leben in der Abenddämmerung des Ölzeitalters. Die billige Ölparty mit der wir die letzten 50 Jahre Spaß hatten, geht zu Ende. Rohstoffe werden rar und um die verbleibenden Reste wird es große Kriege geben und in diesen zukünftigen Kriegen werden Atomkraftwerke Hauptangriffsziele sein. Ich weiß nicht, wieviel Zeit wir noch haben, bevor die Hölle losbricht... Jetzt müssen wir die Schließung nuklearer Anlagen in der Nähe großer Städte einfordern. Atomreaktoren sind nichts weiter als eingepflanzte Zeitbomben.

(Interview: Victor Vella/ IT-TORCA (Malta) April 2011)